myzel_construct

Im Jahr 2021 wurden 37% der globalen Emissionen durch den Bausektor verursacht, dies geht aus Daten des UNEP hervor. Allein 9% werden nur durch Baumaterialien ausgestoßen. Der Bedarf an nachhaltigen Lösungen steigt. Hier kommt der Pilz ins Spiel, der pflanzenbasierte Rohstoffe mit seiner fadenförmigen Struktur, dem Myzel verbindet und durch die Umwandlung von Lignin in ein festes Material verarbeitet. Um die zukünftigen Herausforderungen der Bauindustrie zu bewältigen verspricht Myzel eine vielversprechende Alternative zu Beton zu sein. Um mehr Vertrauen in einen pflanzenbasierten Baustoff der Zukunft gewinnen haben wir drei verschiedene Austellungsobjekte entworfen, die Myzel für den Betrachter greifbarer macht.

Möbius meets Mycelium


In der Mathematik beschreibt ein Möbiusband eine ‚nicht-orientierbare‘ Mannigfaltigkeit, also eine Fläche, die nur eine Kante und eine Seite hat. Anschaulich betrachtet bedeutet das, dass wenn man mit dem Finger am Band entlangfährt, dabei ohne den Rand zu überschreiten immer wieder zum Ausgangspunkt gelangt. Mit diesem zirkulären Prinzip spielt das Mycelium Möbiusstrip, indem es Mycelium als wiederverwendbare Alternative zu herkömmlichen Baumaterialien vorstellt. Die Form des Möbiusbands wird durch Bewehrungsstahl vorgegeben, das im Bauwesen der Verstärkung von Stahlbetonbauteilen dient. Anstelle es mit Beton zu vergießen wurden hier in immer größer werdenden Abständen Kegel aus Myzel entlang des Stahls angebracht. Über mehrere Wochen hinweg verwächst das Biomaterial mit dem Stahl und sorgt dafür, dass das Möbiusband in seiner Form gehalten wird.

"Möbiusband"



Rethink Construction


In der griechischen Architektur dient das Kapitell im Allgemeinen als Verbindungselement zwischen der Säule und dem sogenannten Bogenfuß. Statisch gesehen übernimmt das Kapitell die Funktion der Lastenverteilung. Diese Idee von Myzel als Verbundwerkstoff greift das Mycelium Kapitell auf und regt zum Nachdenken an. Als vielversprechender Träger der Zukunft greift das Mycelium Kapitell diese Idee des Verbingungselements aufdar, um ein klimafreundliches und nachhaltiges Bausystem zu gestalten. Als Verbingungselement von biobasierten Materieln greift das Mycelium Kaptiell diese Idee auf und regt als vielversprechender Träger der Zukunft zum Nachdenken an.

"Säule"





Le Champingnon Bleu


Bei der Gestaltung einer nachhaltigen Zukunft stellt sich nicht nur die Frage der Effizienz eines Baumaterials, sondern auch die des Designs. Mit der Umstellung auf ein neues Material, kommt auch ein neuer Sinn für Ästhetik. Angelehnt an Yves Klein, der mit seinen blauen Monochromen das ‚Undefinierbare im Raum‘ zu fassen versuchte, erkundet ‚Le champignon bleu‘ die organischen Strukturen des Myceliums.

"Säule"

Art der Kommunikation/ Präsentationsform

Das Projekt wurde am 15.04 im MotionLAB vorgestellt. Uns war es wichtig mit den Besuchern in direkten Kontakt zu treten und so wechselten wir uns in Zweiergruppen über mehrere Stunden ab die unterschiedlichsten Fragen zu beantworten. Wegen dem bunt durchmischten Publikum von 6 bis 99 Jahren und den verschiedenen Hintergründen aus Kunst, Architektur bis hin zu Physikstudenten kam es bereits im Dialog für beide Seiten zu neue Erkenntnissen. Insbesondere an der Universität der Künste waren etwa die Architekturstudenten interessiert daran wie man mit Myzel Prototypen bauen könnte, die nachhaltiger als die aus Styropor wären. Für die jüngeren Teilnehmer war es besonders interessant das Myzellkapitell anfassen und aus nächster Nähe zu betrachten und so besser mit der Textur vertraut zu werden.

Theorie

Wissenschaftlicher Hintergrund Pilze fungieren als Destruenten in der Natur. So bauen hauptsächlich Pilze Holz ab. Die Rolle von Tieren und Bakterien ist vergleichsweise klein. Als Parasiten befallen einige Pilze schon lebende Wirte. Der Echte Zunderschwamm, auch Fomes fomentarius, befällt Laubbäume wie zum Beispiel Buchen und Birken.  Beim Abbau des Holzes ist eine Weißfäule zu beobachten. Das bedeutet: Während des Zersetzungsprozesses werden durch den Pilz Bestandteile von Holz, wie Cellulose und Lignin, abgebaut. Die Pilze geben Enzyme (Phenol Oxidasen) in das Substrat, also Holz, ab. Durch die anschließende Bleichung entsteht eine weiße Verfärbung. Deshalb wird von Weißfäule gesprochen. Diese Zersetzungsprozesse reduzieren die Druckbelastbarkeit und die Biegefestigkeit des Holzes (1). 

Bei der Herstellung von den gezeigten Pilzobjekten wird sich die Fähigkeit des Zunderschwamms zum Holzabbau zunutze gemacht(1). Das Wurzelwerk des Pilzes (Myzel) breitet sich im Substrat aus. Für die Bildung von neuen Formen wird das Pilz-Substratgemisch in ein 3D-Negativ gegeben. Nach einigen Wochen hat sich das Wurzelwerk ausgebreitet, die Weißfäule ist erkennbar fortgeschritten. Durch das Wurzelwerk wird das Substrat in seiner neuen Form gehalten. Abschließend wird die Form getrocknet und gewinnt erst dadurch an enormer Stabilität. Der Zunderschwamm kann den Porlingen zugeordnet werden. Durch sein charakteristischen am Baum sitzenden Fruchtkörper und seine erkennbaren Poren (polyporoidem Hymenophor ), ist der Zunderschwamm leicht zu identifizieren (2).

Der Fruchtkörper des Zunderschwamms wurde schon von “Ötzi” der neolithische Gletschermumie aus dem Ötztal verwendet. Schon in der Jungsteinzeit wurden Teile des Fruchtkörpers des Zunderschwamms für das Feuermachen als Zunder verwendet (1). 

Quellen (1) Bresinsky, A. Entwicklung, Morphologie und Systematik der Pilze im Überblick. In: Bresinsky, A. (ed). Pilze und Flechten – Morphologie, Systematik, Bestimmung : Erkennung von Gattungen samt ihrer typischen, häufigen oder auffälligen Arten. Springer Berlin Heidelberg: Berlin, Heidelberg, 2021, pp 7-111. (2) Dörfelt, H. & Ruske, E. Allgemeiner Teil. In: Dörfelt, H. &  Ruske, E. (eds). Die pileaten Porlinge Mitteleuropas: Morphologie, Anatomie, Bestimmung. Springer Berlin Heidelberg: Berlin, Heidelberg, 2018, pp 16-363.

Hier gibt es auch Anleitungen zum Herunterladen

http://www.top-ev.de/about/lab/mind-the-fungi/

Um das Substrat herzustellen, ist es am besten erstmal eine Körnerbrut anzulegen. Hierfür eignet sich zum Beispiel Roggen. Dieser wird in ein Glas gefüllt und mit Pilz, in unserem fall der Zunderschwamm, beimpft. Hierbei ist steriles arbeiten wichtig, um Schimmelbefall vorzubeugen. Wenn nach einigen Tagen der Roggen stark genug überwachsen ist, braucht man dann nicht viel davon, um einen ganzen Beutel Substrat anzulegen. Davor müssen wir dafür aber unsere Sägespäne oder ein anderes Lignin haltiges Material sterilisieren. Dafür haben wird etwas Wasser und Gips in den Beutel gegeben, diesen geschlossen und für wenige Stunden in einem Druckkochtopf gekocht. Nachdem danach der Beutel komplett abgekühlt ist, kann die Körnerbrut in den Beutel gegeben und gut vermischt werden. Je nach Substrat menge dauert diese einige Tage. Wenn das Substrat endlich gut durchwachsen ist, kann es in beliebige Formen gegeben werden. So haben wir zum Beispiel Rohre mit Substrat gefüllt, um die Streben für das Möbiusband zu wachsen und die Negativform für die Kapitelle gefüllt. Hierbei ist wie immer darauf zu achten, sauber und steril zu arbeiten, um Schimmelbefall vorzubeugen. Jetzt muss das Substrat weiter wachsen. Das dauert einige Wochen, je nachdem wie groß die Formen sind. Danach können wir das Myzelium Substrat vorsichtig aus den Formen nehmen. Wenn gewollt, kann man dann das Myzelium an der Luft weiter wachsen lassen um eine schöne, weiße, flaumige Luftmyzelium Oberfläche zu bekommen. Um das Wachstum zu stoppen und das Restwasser zu entfernen, muss jetzt das Myzelium über mehrere Stunden bei niedriger Hitze gebacken werden. Damit ist der Bauprozess abgeschlossen. Für mehr Details, siehe unsere Quellen.

  • Erkenntnisse & Ausblick

Myzelium Substrate stellen eine große Hoffnung dar, klimaschädliche Materialien zu ersetzen. Jetzt schon werden sie zum Beispiel benutzt, um nachhaltig zu verpacken, Möbelstücke wie Lampen zu bauen und sogar um Leder zu ersetzen. In der Zukunft hofft man natürlich für noch viel mehr. Es wird geforscht wie die Stoffeigenschaften durch die Vor- und Nachbereitung des Substrates beeinflusst werden können um möglichst bald Kunstharzpressholz oder sogar Ziegelsteine und Gips zu ersetzen. Die Forschung ist noch sehr jung aber lockt immer mehr Augen und Investitionen an. Startups erscheinen wie Pilze aus dem Boden. Die Hoffnung ist groß ein möglichst großes Anwendungsgebiet zu finden. Trotzdem hat der Baustoff natürlich seine Limitationen und sollte so als Teil Lösung für eine nachhaltige Zukunft gesehen werden.

  • Quellen

Jones, M., Gandia, A., John, S. et al. Leather-like material biofabrication using fungi. Nat Sustain 4, 9–16 (2021). https://doi.org/10.1038/s41893-020-00606-1

Jones, Mitchell; Gandia, Antoni; John, Sabu; Bismarck, Alexander (2020). Leather-like material biofabrication using fungi. Nature Sustainability, (), –. doi:10.1038/s41893-020-00606-1

Vera Meyer, Sven Pfeiffer( 2022),Engage with Fungi,Berlin University Publishing, DOI 10.14279/de­posi­tonce-10350

WWF Deutschland (Klimaschutz in der Beton- und Zementindustrie, 2019), EU-Kommission, Dittmer/Geraets/Schwipps (Die Klimabilanz Berliner U-Bahn- und Straßenbahnplanungen, 2020)

  • myzel_construct.txt
  • Zuletzt geändert: 2023/05/30 15:29
  • von emma_schirren